Beitrag von Markus Mersits zum Anlass der Veranstaltung „AnDenken“ am 9.11.2018 in Wien Rudolfsheim:

 

Hannah Arendt & das Ende aller Hoffnung für die Juden in Österreich

 

Hannah Arendt (*1906 – † 1975), wer war sie? Sie war eine scharfsinnige politische Denkerin, eine kompromisslose Intellektuelle, eine streitbare Jüdin und eine wichtige Philosophin. Sie war nicht nur Schülerin und Geliebte des „philosophischen Zauberers“ Martin Heidegger (*1889 – † 1976) . Sie war vor dem Zweiten Weltkrieg auch Studentin beim großen Existenz- und Vernunftphilosophen Karl Jaspers. Nach dem Krieg war Sie eine Freundin und willkommene Gesprächspartnerin von Karl Jaspers (*1883 – † 1969) und seiner jüdischen Frau Gertrud (*1879 – † 1974).

 

Im November 1945 meldete sich Arendt zum ersten Mal seit 1933 bei Ihrem ehemaligen Doktorvater Jaspers wieder. Für Hannah waren es 12 Jahre der Flucht, der Ungewissheit, der Sorge. Auch für die Familie Jaspers war es eine schlimme Zeit, Berufs- und Publikationsverbot für den Philosophieprofessor und ständige Angst vor einer möglichen Deportation.

Für den chronisch kranken Jaspers war eine Flucht nicht machbar. Daher verbrachte er die Kriegsjahre mit seiner Frau in Deutschland. Hätte der Krieg einige Wochen länger gedauert, wären auch sie den Nazis zum Opfer gefallen.

 

Der Brief von Hannah Arendt an Karl Jaspers nach 12 Jahren ohne Kontakt beginnt so:

„Lieber, lieber Karl Jaspers –

seit ich weiß, dass Sie beide durch den ganzen Höllenspektakel heil durchgekommen sind, ist es mir wieder etwas heimatlicher in dieser Welt zumute.“

 

Wie unheimlich für sie die Jahre 1933 bis 1945 waren, beschreibt Hannah Arendt eindrücklich in ihrem Essay „Wir Flüchtlinge“ aus dem Jahre 1943.

„Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertrauen eingebüßt, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle. Wir haben unsere Verwandten in den polnischen Ghettos zurückgelassen, unsere besten Freunde sind in den Konzentrationslagern umgebracht worden, und das bedeutet den Zusammenbruch unserer privaten Welt.“

 

Der Beginn dieses Zusammenbruchs ist im August 1933 zu datieren. Hannah Arendt und ihre Mutter Martha flüchteten damals aus Deutschland Ihr Weg führt sie über die Grüne Grenze zuerst nach Prag, dann weiter über Genua und Genf nach Paris.

Die Flucht war nach einer einwöchigen Inhaftierung in Berlin ein notwendiger Schritt. Hannah konnte sich durch Ideenreichtum und einem Lügenkonstrukt aus der heiklen Situation befreien. Hätte die Gestapo ihr nachweisen können, dass Sie antisemitische Aussagen gesammelt und zusammengestellt hat, um es im Ausland als Warnung vor den Nazis zu verbreiten, wäre sie der sogenannten „Verbreitung von Greuelnachrichten“ beschuldigt worden.

Die Freude über die Entlassung währte nur ganz kurz. Sie wusste, nun wurde es Zeit Deutschland den Rücken zu kehren. Dass die Nationalsozialisten gefährlich waren, dessen war sich Hannah schon lange bewusst. Viele jüdische MitbürgerInnen erkannten die lebensbedrohliche Brisanz erst spät.

Ein Wendepunkt für all jene Juden und Jüdinnen die dem Glauben erlagen, ihnen werde nichts passieren, war nach Arendts Ansicht der März 1938. Adolf Hitler ließ die deutschen Soldaten in Österreich einmarschieren. Die Übergriffe gegenüber Juden nahmen zu, ebenso ihre Suizidrate. Optimismus und Zuversicht waren innerhalb kürzester Zeit in Pessimismus umgeschlagen.

Arendt schrieb dazu: „(A)ls die Deutschen ins Land einmarschierten und die nichtjüdischen Nachbarn mit Überfällen auf jüdische Wohnungen anfingen, da begannen österreichische Juden Selbstmord zu verüben. . . .

Im Unterschied zu anderen Selbstmördern lassen unsere Freunde keine Erklärungen ihrer Tat zurück, keine Beschuldigung, keine Anklage gegen eine Welt… Niemand schert sich um Motive, denn die schienen uns alle eindeutig zu sein.“

Der erste traurige Höhepunkt dieser Entwicklung, war die Eskalation in der Reichspogromnacht von neunten auf den zehnten November 1938.